Zwei unbedeutende Momente

Da war er also, der Moment den ich seit einigen Wochen herbeisehnte. Er fühlte sich falsch an und doch so wahr. Die Hausaufgaben für die Uni waren fertig (hierbei wird folgende Definition von “fertig” verwendet: “fer-tig; nicht im Verzug seiend, im Zeitplan liegend”) und nun war ich konfrontiert mit dieser Seltsamkeit: Freizeit.

Das fühlte sich unangenehm an. Schon 21 Uhr (Sonntag) waren die zu erledigenden Dinge erledigt und ich musste feststellen, dass es keinen Grund mehr gibt bis 2 Uhr (so wie die Vornacht) an Unikram zu sitzen. Nun sollte man denken, dass sich das gut anfühlte, aber aus irgendeinem Grund fühlte ich nur Leere. Was soll ich mit diesem Moment der menschlichen Nutzlosigkeit anfangen? Ich fühlte mich so schmutzig. Gesellschaftlich wertlos. Was macht das Leben denn für einen Sinn, wenn man nicht jede Sekunde für jemanden oder etwas arbeitet. Unentschlossen öffnete ich immer wieder den Browser und schloss ihn. Es gab doch früher auch Dinge die man gemacht hat, wenn man gerade nicht arbeitet. Nichts. Keine Idee. Wahnsinn. Nachdem ich noch mit ein paar Leuten versuchte ein Gespräch per Instant Messenger aufzubauen musste ich feststellen, dass die Leute wohl beschäftigt sind – mit Freizeitaktivitäten.

So versuchte ich schon gestern Abend diesen Artikel zu schreiben, aber nach zwei Zeilen hatte ich auch keine Lust mehr dazu. Ganz ganz seltsam. Nachdem ich noch etwa eine Stunde rumdümpelte mit der Frage was ich jetzt zu tun gedenke bin ich dann vor Langeweile schlafen gegangen – müde war ich schließlich nicht, da die Vornacht ja fast sieben Stunden Schlaf für mich bereitstellte. Ursprünglich wollte ich aber lediglich zwei interessanten Beobachtungen der Woche mit einem Artikel würdigen, was ich nun trotz dieser in die Irre führenden Einleitung tun werde. Diese Dinge sind profan wie bedeutsam in ihrer marginalen Bedeutsamkeit für das große Ganze:

Der Geruch von frisch aufgeschnittenen Saftorangen ist so schön wie neben dem süßesten Mädchen der Welt aufzuwachen. Zugegebener Maßen, fast so schön. Aber auf jeden Fall in einem sehr sehr großem Maße schön. Ich möchte hier eher auf ersteres eingehen und zweiteres als Vergleichswert nutzen, da ich zweiteres zum Maximum an Schönheit deklarieren würde. Zurück zur Saftorange. Ich kam vor einigen Monaten zur Saftorange: Im Zuge einer Geburtstagsfeier in einem Etablissement gehobeneren Stils erkannte ich die Orange als Frucht neu für mich – veredelt zu Saft. Was ist denn so toll an einer Orange oder Orangensaft wird sich der aufmerksame Leser nun denken. Es ist einfach alles. Der Saft den diese Frucht gewordenen Goldstücke preisgeben ist so sanft. Nicht sauer, dafür mild gesüßt. Fruchtig und fleischig. Sehr fleischig. Je fleischiger desto besser. Man muss in der Bredouille stecken, nicht zu wissen ob man den Saft trinken oder essen soll. Schneidet man eine Saftorange auf, so präsentiert sie ihr perfetktes inneres. Symmetrisch und strahlend Orange. Der aus den Fruchtkammern entströmende Saft lässt das orange Fruchtfleisch im Sonnenlicht schimmern. Der Geruch ist so lieblich, so sonnig. Leicht süß und fruchtig, aber nicht mit klebrig assoziiert. Frisch und jung, aber nicht kalt. Warmherzig und hingebungsvoll. Ja, so würde ich den Geruch dieses aufgeschnittenen Wunders beschreiben. Der Tag wird mit dem Anblick und dem Geruch einer aufgeschnittenen Saftorange auf jeden Fall ein ganzes Stück besser, egal wie sehr einen das Wetter versucht zu verstören. Das bringt mich auch zur zweiten Lektion des Lebens.

Es ist in gewisser Weise ironisch wenn Regen auf die Wasserflasche am Rucksack fällt. Die Wasserflasche hängt in diesem Flaschennetz an der Rucksackseite. Man träumt sich durch den Regen, begleitet durch Musik, um die Welt etwas heller scheinen zu lassen als es dieser Tage das Wetter scheinen zu lassen vermag. Ich lasse den Rucksack an einem Arm hinuntergleiten um seitlich an die Vorderseite des Rucksacks und damit an das Fach mit dem darin enthaltenen Schlüssel zu kommen. Ich sehe, wie sich die halbvolle – halt nein, sie war halbleer. Ich sehe also, wie sich das Wasser in der halbleeren Wasserflasche rhytmisch zu meiner Schrittfolge bewegt. Mal aufbäumt, mal sachte dahinplätschert. Außen an der Flasche sammeln sich die Regentropfen. Die Oberflächenspannung des Wassers und die Reibung an der sehr glatt erscheinenden Flasche verhindern ein Abrutschen der Tropfen. Sie liegen ruhig auf dem Kunststoff. Nur eine dünne transparente Wand trennen sie von ihrer übergeordneten Menge. Das Wasser in der Flasche greift förmlich nach den wie Perlen aussehenden Tropfen, die sich an der Außenseite festhalten – so nah und doch unerreichbar – fast etwas traurig sehe ich zu. Und ich greife nach meinem Schlüssel.

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