Vom Fach
Geschrieben von Erk | Abgelegt in Allgemein
Mir ist gerade aufgegangen, wie man sich illegal und gemeinschaftsschädigend sehr effektiv angenehme Mengen Geld verschaffen kann.
Man geht in eine Bibliothek, nimmt schon ausgeliehene Bücher mit in den Lesesaal. Dann holt man sich noch eines aus dem Regal. Und dann nimmt man einfach alle Bücher und packt sie wieder in seine Tasche, geht nach Hause und vertickt das eben entwendete Buch bei eBay. Natürlich muss man die Bibliotheksaufkleber entfernen. Man kann auch Bücher, die man selber hat verkaufen und sie durch Bibliotheksbücher ersetzen. Ich bin mir relativ sicher, dass man das zumindest in vielen Bibliotheken schaffen könnte. Uni-Literatur ist in der Regel teuer, naturwissenschaftliche Standardwerke kosten gerne mal 70€ und bringen bei eBay noch mal locker 50€, eher mehr. Je neuer, desto mehr. Den abgeribbelten Aufkleber, der oft kundenfreundlich auf den Klebefolien-Schutzumschlag geklebt ist (sonst würde man es auch zu schwierig machen) und den Bibliotheksstempel kann man als leichten Rucksackschaden beschreiben, mindert den Wert vielleicht um 5€. Etwas Alkohol für die Kleberreste, klappt sicher.
Beispiel: Der Speckmann (ein völlig überbewertetes Lehrbuch für Physiologie) kostet neu bei Amazon 69,95€, gebrauchte ab 62,00€. Bei eBay tauchen solche Bücher oft gar nicht auf. Trotzdem oder gerade deshalb wird man sie dort sicher sehr gut los. Das Exemplar das ich hier liegen habe würde sicher 60€ bringen. Den Aufkleber fachgerecht entfernen dauert ca. 2 Minuten. Easy money.
Natürlich würde ich so etwas niemals tun, wirklich nicht. Da ich nur sehr selten vor Geilheit über mein Studium auf meine Lehrbücher ejakuliere, habe ich nur wenige, und die waren billig, weil eher dritte als zweite Hand. Trotzdem ist mein Regal voll. Viele Leute kaufen ein Buch und lernen damit, auch wenn es schwer ist. Ich habe drei Bücher, alle für 3 Monate umsonst ausgeliehen. Ich kann hin und her springen, was das lernen ungemein vereinfacht. Oft sind medizinische Bücher relativ kacke geschrieben oder zumindest inkonsistent was die Qualität angeht. Das relativiert sich, wenn man einfach in einem anderen, wo etwas besser dargelegt ist, weiter lesen kann. Oder man mag in einem die Texte, im anderen taugen die Abbildungen aber mehr. Und im dritten funktioniert das Stichwortverzeichnis. So ist es tatsächlich, wenn man sich die drei gängigen Physiologie-Lehrbücher anschaut. Alle einzeln sind schlecht, zusammen klappt es recht gut.
Und das absolute Totschlagkriterium ist folgendes: Man lernt mit einem Physiobuch von 2006 und es fallen einem Lücken auf, mir, einem Studenten. Da steht dann, dass NO eventuell ein Mediator für die Gefäßentspannung sein könnte. In den Seminaren wird uns der komplette Weg, wie NO im Körper gebildet wird, eingetrichtert, weil er so essentiell ist. Drei Jahre, und das Buch weist essentielle Lücken auf! Welchen Sinn hat es dann, ein Buch im Regal zu haben, mit der Absicht, Sachen nachzuschlagen, wenn es der Wissenstand von vor 5 Jahren ist? Man sagt, dass sich gerade in der Medizin das Wissen alle zwei Jahre verdoppelt. Also hole ich mir lieber aktuelle Auflagen aus der Bibliothek.
Aber auch ich habe natürlich ein Herz und liebe manche Fachbücher. Ich werde niemals mein Buch über literarische Begriffe, dass ich noch aus dem Englisch-Studium habe, weggeben, einfach, weil ich beim ersten Mal, dass ich eines davon in der Hand hatte, zufällig den Begriff Pornographie aufschlug. Ein Zeichen, seitdem sind wir Freunde. Mit Vorzügen. Womit sich auch der Bogen wieder schließt, was, wie ich gelernt habe, die höchste Kunst des Essay-Schreibens ist. Das deutsche Bildungssystem ist schuld an diesem lauen Scherz. Niemand sonst.