Was an die Nieren geht.

…”Ja, na ich gehe dann jetzt zu Real und kaufe noch Zutaten um mir was zu kochen.” “Naja, dann ruf ich dich so in ner Stunde an.” “Ja gut… Äähhhm… Du die Autos fahren hier garnicht an die Ampel ran… Und die Straßenbahn steht da… Oh Fuck… Ehhhh… Warum liegt da etwas unter der Straßenbahn… Ist das ein Mensch? Ohhh Fuck… Ich muss hier weg!” “Ähh? Los, Fotos machen. Bürgerjournalismus und so…” “Du, nein. Ich… Fuck. Ähm. Der bewegt sich nicht mehr… Shit, es sieht so aus, als würde der sich nie wieder bewegen…”.

Dieses Telefonat führte ich am vergangenen Freitag. Während ich telefonierte muss neben mir, von mir unbemerkt, ein Passant, der quer über die Straße lief, von einer Niederflur-Straßenbahn angefahren worden sein. Eventuell war zuvor auch noch Kontakt mit einem PKW. Trotzdem die Straßenbahn an dieser Stelle nur zügige Schrittgeschwindigkeit fährt ist der Passant unter der Straßenbahn eingequetscht worden. Wer der Meinung ist, dass die flachen Straßenbahnen ihre Opfer vor sich herschieben liegt falsch. Bevor die Räder das Unfallopfer Zerteilen kam die Straßenbahn wohl aber zum stehen.

Schier endlos erschienen mir die Sekunden in denen ich von der Ampel aus rätselte ob es sich tatsächlich um einen Menschen handelt. Wenn das ein Mensch ist, warum halten dann nur alle Fahrzeuge an, aber keiner läuft hin? Bis der Fahrer eines in einer hinteren Reihe stehenden Autos angesprintet kam, hat der Straßenbahnfahrer einige Sekunden untätig in seinem Führerstand gesessen. Da die ersten Menschen beim Opfer angelangt waren, sah ich davon ab auch hinzugehen – schließlich könnte ich eh nichts ausrichten.

Ich ging schockiert einkaufen. Ein völlig leerer Kopf. Fassungslosigkeit. Gleichgültigkeit. Alles so unbedeutend gegenüber dem. Menschen halten eine Menge aus, das weiß ich. Aber keine Straßenbahnen. Ich hörte weder Schreie, noch war eine Bewegung auszumachen. Ich ging zu dem Zeitpunkt davon aus, dass da gerade ein Mensch gestorben ist. Ohne sich von jemandem zu verabschieden. Ohne sich darauf vorzubereiten. Der Zustand hielt noch einige Stunden an, trotzdem ich auf dem Rückweg einen Santitäter aus dem versorgenden Krankenwagen aussteigen sah, der sich mit einem Lächeln im Gesicht mit den Polizisten unterhielt. Diese Konfrontation mit dem Tod eines völlig fremden, unbekannten Individuums hat mich schwer getroffen.

Warum aber schreibe ich das. Auf keinen Fall sollte das jemand als Katastrophenjournalismus auffassen. Es geht mir tatsächlich nur um meine Reaktion auf die Situation. Ich war erstaunt, wie sehr mir das an die Nieren geht, obwohl ich überhaupt nichts mit der Person zu tun habe, nicht in Gefahr war oder irgendwie in irgendeiner Beziehung zu der Situation war, abgesehen von meiner Nähe zum Unfallort. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage wie man es aushält derartige Unfallsitationen medizinisch unter kontrolle zu bringen. Sind die Notärzte vor Ort noch krasser als die behandelnden Ärzte im Krankenhaus? Den Tod in der natürlichen Umgebung zu bekämpfen scheint mir härter zu verarbeiten als in einem dafür vorgesehenen Ort.

Nun wird mir auch klar, wozu Seelsorger gebraucht werden, wenn wieder einmal irgendwas Explodiertkollidiertabstürztentgleist.

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