Alda, warum ist die Tomate so verdammt rot?

Ich weiß das klingt jetzt sehr nach Smart-Ass, aber für mich hat das Wort „opportunity“ immer noch eine weitere Bedeutung als „Möglichkeit“. Eine Möglichkeit ist eine Option, in opportunity schwingt viel mehr noch die Idee einer Gelegenheit mit. Während mir „Gelegenheit“ selbst mehr nach Hundewetten oder Sparangeboten klingt und man sich „Möglichkeiten“ schafft, in dem man sein Abitur macht, die Ausbildung abschließt etc. man kreiert sie selbst, beziehungsweise ermöglicht (ha ha) man sich, sie wahrzunehmen. Also opportunity.

Warum sitzt man um kurz vor 22.00 Uhr in Gießen an einem Schreibtisch, den man schon durch einen größeren, besseren, bunteren (in meinen träumen ist er dunkelgrün – passt zu der roten Tapete, die ich mir für das Zimmer wohl nie ausgesucht hätte, die ihm aber einen kuscheligen mehr denn eine erotischen Charakter verleihen, wie ich leidvoll zugeben muss) ersetzt haben wollte, mit einem Glas Multisaft (Mango-Orange-Ananas) und macht sich Gedanken über solch abstruse und wahrscheinlich recht bedeutungslose Dinge? Vor allem ist dies verwunderlich, weil man diesen Teil des Englisch-Studiums nicht so wirklich mochte. Oder mochte man ihn? Hmm, eigentlich geht es bei Literatur doch vornehmlich um die Bedeutung von Worten, wie sie zusammenspielen, aber auch, wie sie sich einzeln darstellen, oder besser noch, was sie einzeln darstellen. Wörter stehen für Dinge. Wenn ich das Wort „Mond“ schreibe, blitzen einige Bilder in meinem Geist auf. Der Mond wie er über der Frauenklinik, die ich von unserem Balkon aus sehe (sie ist direkt gegenüber, also wahrlich schwer zu übersehen) und wie ich auf den wackeligsten Stuhl den wir besitzen, steige, um meinem Mitbewohner auch glaubwürdig versichern zu können, dass es sich um keinen Fliegerangriff, sondern nur um den guten alten Herzensbrecher handelt.

Nochmal. Warum sitzt man zu dieser Zeit hier und denkt über so was nach? Ich denke, weil ich gerade sehr seltsam drauf bin, wobei seltsam nicht schlecht ist. Ich mag seltsam. Bei mir, bei anderen aber auch. Seltsam produziert Gedanken, Ideen. „Was muss ich vom Edeka mitbringen?“ ist die Bezeichnung „Gedanke“ nicht wert. Seltsam ist somit gut. Sonderbar trifft es wohl auch. Ich warte auf eine bestimmte, sehr wichtige E-Mail, deren Inhalt ich nur ahnen kann, nur hoffen kann und während ich das tue, findet WG-Leben an mir entlang statt. Wir grillen und als ich mich mit meiner Mitbewohnerin unterhalte wird mir plötzlich klar, dass alle Farben die ich sehe, mir, nur für einen Moment, viel greller, satter und lebendiger vorkommen. Der Moment ist so kurz, dass ich bei näherem Hinsehen feststelle, dass er schon wieder vorbei ist. Ich glaube, seitdem bin ich sonderbar drauf. So was rückt mich immer ein wenig aus dem Moment.

Ich hänge Wäsche auf und denke darüber nach, was es bedeutet, opportunities zu ergreifen. Ich habe noch nie gehört, dass jemand den Fehler gemacht hat, sich etwas zu trauen. Sicher ist es so, dass man sich nix traut, wenn man hinterher unter der Entscheidung leidet. Dann ist es nur unüberlegtes, hitzköpfiges Handeln oder eine Dummheit gewesen. Aber lassen wir das mal außen vor. Wenn man also eine opportunity ergreift, dann ist das meist etwas Gutes. Man traut sich etwas. Man fährt zum Beispiel halb spontan nach Gießen und studiert dort Medizin, obwohl man gerade eine WG gegründet und eine süße neue Freundin in der Heimat hat. Aber ich würde niemals sagen, dass es keine gute Entscheidung war. Ich habe auch nie gehört, dass jemand bereut hat, ins Ausland zu gehen, zumindest für eine Weile. Oder dass sie einfach verrückt war, etwas Unerwartetes getan hat, den ersten Joint nehmen und die beste Nacht seines Lebens verbringen, ins Freibad einbrechen und Nacktbaden. Mit dem Flugzeug nach Bukarest fliegen und erst wieder zurückkommen, wenn man irgendjemanden, den man nicht kennt, geküsst hat. All diese Dinge haben etwas gemeinsam. Es sind Extremsituationen. Extrem nicht weil sie gefährlich oder Stuss sind, sondern weil sie einen Kontrast zum Rest des Lebens darstellen. Leben passiert, wenn man gerade nicht aufpasst, das hört man immer wieder in verschiedenen Abwandlungen. Solche Situationen sind das einzige was man bewusst tun kann, um dies zu ändern. Man wagt etwas. Und selbst wenn man sich dabei auf die Fresse packt (man entschuldige bitte die krasse Wortwahl, aber sie folgt einem Zweck) und einen Zahn verliert, blutet, du liegst doch da, im Dreck, neben der zersprungenen Bierflasche deines besten Freundes und lachst. Lachst laut und schallend, du achtest nicht auf dich, auf die Umgebung, es ist ein Moment der Exstase, ungetrübt durch bewusstes Selbst. Dein T-Shirt ist egal. Dein Make Up ist total egal. Darauf achtest du nicht. Du liegst am Boden, also lach! Keiner wird sich darum kümmern, wenn du jetzt auch noch lachst, die Situation geil findest. Und wenn doch … scheiß drauf.

Und das ist gut. Weil man es versucht hat. Weil man etwas getan hat, das einem nichts und niemand mehr weg nimmt. Man hat sich dadurch verändert, die Perspektive verrückt und eine Erfahrung gemacht. Man sieht alles in einem anderen Licht. Ich kann Berlin vielleicht erst als das, was es ist, nämlich ein hässlicher, überlaufener Moloch, schätzen und lieben, seit Gießen mein Mittelpunkt geworden ist. Es geht um den Kontrast. Um das Andere.

Und deshalb rät man dem Mädchen, auf das man steht, nach Finnland zu gehen. Man sagt der Freundin des besten Freundes, dass sie mit ihm Schluss machen soll, wenn es nicht geht. Man scheißt auf die Klausuren und macht sich ´ne gute Zeit. Man studiert was schräges statt BWL, Spaß vor Sicherheit. Man kriegt Kinder, obwohl man eigentlich gerade ganz andere Dinge im Kopf und geplant hatte. Denn was wirklich zählt, das, woran man sich erinnert, wovon man seinen Enkeln erzählt, sind nicht die Klausuren oder die eintönigen Zeiten. Es sind die Semesterferien, es sind die Konflikte in einem und mit anderen. Die machen das Leben interessant. Und wenn man sich langweilt lebt man eigentlich nicht.

Vielleicht kommt daher auch mein Hang, es mir nicht unnötig einfach zu machen. Ich verliebe mich in die Frauen, die ich nicht haben kann. Ich studiere das Ätzendste, was es gibt, um den aufreibendsten Job der Welt ergreifen zu können. Und ich lebe mit 4 anderen Leuten zusammen. Ich bleib an roten Ampeln stehen.

Langeweile produziert Langweiler. Und die produzieren noch mehr Langeweile. Das muss nicht sein. Solche Umstände, schwierige, verrückte … seltsame Umstände und Verhaltensweisen bringen, aus der richtigen Perspektive, drei Dinge hervor:

Konflikte, Probleme und maßlosen Spaß.

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