“Das ist doch gefährlich…”

Es wäre auch etwas viel verlangt, von der Generation unserer Eltern und vor allem von der Generation unserer Großeltern zu erwarten, dass sie unser Handeln versteht. Das betrifft einerseits vermeintlich wichtige Handlungen wie das Studium oder die Arbeit, andererseits aber auch die Freizeitgestaltung. Jeder kennt die Situation in der Eltern oder Großeltern fragen, was man denn nach der Schule machen möchte. Diese Frage wird etwa im fünfzehnten Lebensjahr gestellt – schließlich sind es kaum noch vier Jahre, bis man nahtlos seine Ausbildung oder ein Studium anschließen muss. Da ich die Einstellung beider Fronten zu diesem Thema kenne und als festgefahren ansehe, möchte ich auf die Freizeitgestaltung Bezug nehmen.
In der Zeit in der man nicht seine Brötchen verdient oder dazu ausgebildet wird wie man später mal Brötchen verdient geht man in der Regel einer Freizeitbeschäftigung nach. Meist sind das Hobbies, die einem etwas geben, auf welche Art auch immer. Ein Hobby prägt die Persönlichkeit, da es meist im Kontrast zu dem steht, was man zwischen der Freizeit tut. Die Hobbies, die nun für Unverständnis bei anderen Generationen sorgen sind aber nicht „Musik hören“, „Freunde treffen“ oder „Ballspielen“. Ich rede von Snowboarden, Kiteboarden, Climbing, Downhillbiken, Cliffdiving, Freestyle-Motocross, Basejumping… Die Liste kann noch um einige Dinge erweitert werden. Schon die mächtig klingenden Bezeichnungen für diese als Extremsportarten bezeichneten Tätigkeiten lassen erahnen, dass es hier nicht um „Ponies im Streichelzoo“ geht.
Alle Extremsportarten haben drei Gemeinsamkeiten: Erstens, sie sind cool. Zweitens, sie sind verdammt gefährlich. Drittens, sie sind verdammt cool. Da Punkt eins zu Objektiv ist (schon der Name „Cliffdiving“ klingt cool) und Punkt drei möglicherweise zu subjektiv wahrgenommen wird (ja okay, vielleicht mag nicht jeder Cliffdiving), möchte ich Punkt zwei, den Punkt der Diskussion, unter die Lupe nehmen.
Die Gefahr, sich bei diesen Sportarten ernsthaft zu verletzen lässt sich kaum bestreiten. Natürlich gibt es aber Schutzvorkehrungen. So gibt es für Fallschirmspringer redundante Schirmsysteme. So trägt man für gewöhnliche Schutzkleidung. So gibt es einfach ein paar Regeln, die die Gefahr bei Beachtung stark reduzieren. Aber trotzdem: Extremsportarten sind gefährlich, Punkt. Gebrochene Knochen, Schnittverletzungen, Schürfwunden, innere Verletzungen, Zerrungen, Prellungen, Bänderrisse – so lang wie die Liste der Extremsportarten ist auch die Liste der daraus resultierenden Verletzungen. Nun stellt sich die Frage, warum sich die frischeren Generationen diesem Risiko aussetzen. Schließlich geht es hier um die menschliche Gesundheit – das wichtigste was man haben kann.
Betrachtet man die westliche Wohlstandsgesellschaft in diesen Jahren, so stellt man fest, dass es den Menschen im Allgemeinen recht gut geht. Reale Gefahren machen der Generation kaum zu schaffen. Es gibt genug Essen und keinen Krieg, außer dem gegen den Terror, *räusper*. Scheinbar ideale Bedingungen für ein langes Leben. Lang aber auch langweilig. Zwar ist man dankbar für sein Leben, aber man kämpft nicht täglich dafür. Das Leben wird also zum Alltag. Warum sollte man am nächsten Tag nichts zu essen haben? Warum sollte ich morgen nichts trinken können? Soll ich heute ein- oder zweimal duschen? Warum sollte ich morgen Abend nicht mehr nach hause kommen, gehen wir noch auf eine Party? Es gibt heute keinen Grund sich darum Gedanken zu machen. Für gewöhnlich möchte der Mensch stets das haben, was er nicht hat. Lockiges oder glattes Haar. Haken- oder Stupsnase. Aufregung oder ruhiges Leben. Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. So schafft man sich also künstliche Gefahren, setzt sich diesen aus und freut sich danach darüber, dass man die Gefahr überwunden hat. Das ist zumindest meine psychologische Erklärung des Phänomens der Extremsportarten.
Menschen (viele, nicht alle) fühlen sich gefangen in einer Welt in der sie keinen besonderen Stellenwert einnehmen. Die vollkommene Gleichheit lässt einen am eigenen Leben zweifeln. So möchte das gefangene Individuum eine Individualität aufbauen. Diese erreicht es über Hobbies. Hobbies die ihm zeigen, dass es einzigartig ist und es spüren lassen, dass es noch in Freiheit lebt. Das man lebt spürt man vor allem dann, wenn man sich nahe an der Grenze zwischen Leben und Tod befindet. Wenn der Körper zu Höchstleistungen auffährt um die Situation unbeschadet zu überstehen. Diese Leistungen kitzelt man am schnellsten mit Extremsportarten aus dem Menschen.
Der Spaß den man bei diesen Sportarten empfindet resultiert eben vor allem aus dem Risiko. Diesen Spaß darf man aber nicht verwechseln mit dem Spaß den man bei einem Kartenspiel empfindet. Ich gehe da von unterschiedlichen Spaßarten aus. Um vollkommen bespaßt zu sein, benötigt es von jeder Spaßsorte eine gewisse Menge. Deshalb kommen manche Menschen auch ohne Extremsport aus. Ihr Körper verlangt nicht die Extremsportspaßportion. Das kann auf eine erhöhte Intelligenz deuten, da die Nichtextremsportler auf ein langes gesundes Leben hoffen können und ihre Fortpflanzung dadurch darwinistisch gesichert ist. Da sich Darwins Theorien aber kaum so eindimensional auf die heutige Gesellschaft anwenden lassen, glaube ich nicht, dass ein erhöhtes Risiko für Extremsportler zu sterben oder auszusterben besteht. Was den Fortbestand dieser Menschen betrifft möchte ich noch einmal auf Punkt eins und drei der Gemeinsamkeiten der Extremsportarten hinweisen: Sie sind cool, verdammt cool.

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